Die hagebau ist ein Handelsunternehmen und unter anderem bundesweit genossenschaftlich für den Einkauf von Waren und Werbemaßnahmen für die rund 360 Gesellschafter tätig. Deren Einzelhandelsgeschäft wird durch die hagebaumärkte abgebildet, die für den lokalen Vertrieb der Waren und Marken verantwortlich sind – ein klassisches Franchise also. Der hagebau gehört unter anderem die Handelsmarke Mr. Gardener, die vom Elektrogerät bis zum Holzprodukt vor allem Gartenhäuser, Carports und Sichtschutz-Zäune vertreibt. Im ebenfalls klassischen, lokalen Handelsgeschäft gibt es also keine Konkurrenz unter den hagebaumärkten selber, denn alle haben dasselbe Portfolio und eine lokale Verkaufszone innerhalb der Genossenschaft. Wettbewerb droht also nur durch andere Ketten.
Im Auftrag der hagebaumärkte Zeven und Bremervörde entwickle ich 2013 eine Quick-Win-Strategie für einen Onlineshop der Mr. Gardener Holz-Produktlinie. Dabei setze ich bewusst nicht auf die große Lösung im ersten Anlauf, sondern auf Iterationen mit Konsumenteneinsicht, die abgefragt und erfasst wird. So ist es möglich, langsam in den neuen Markt hineinzuwachsen und aus den Wünschen der Kunden die weiteren Schritte abzuleiten. Maßgabe für den Online-Shop war, das lokale Geschäft in Zeven und Bremervörde zu ergänzen, und nicht zu kannibalisieren. Daher gab es von vorneherein keine besonders niedrigen Online-Preise und vergleichsweise hohe Versandkosten für bundesweite Frachtlieferungen.
Aus dem stationären Handel war bereits bekannt, dass Carports, Holzhäuser und Sichtschutz-Zäune gängige, schnelldrehende Artikel sind. Zusammen mit dem hagebaumarkt wird das Portfolio um Versuchsartikel aus den Bereichen Kinder-Spielgeräte, Terrassen und Deko-Artikeln erweitert. Wir starten daher mit knapp 400 Produkten – aber ohne Shop, denn kaufen konnte man noch nicht. Stattdessen haben wir den Kunden gebeten, Produkte anzufragen und damit die ersten Einsichten gewonnen: Welche Produkte werden überhaupt angefragt, welche Fragen haben die Kunden und welche Versandkosten werden akzeptiert. Kurzum: Das Anfragesystem erzeugt schon im ersten Jahr, ohne größeres Marketing, Dutzende Anfragen jede Woche. Konsequenterweise wird nun auch die zweite Phase beauftragt und aus dem Anfrage-System ein vollständiger Shop mit Bestellfunktion, Trusted-Shops-Zertifizierung und Kundenbereich.
Im Folgejahr, also 2014, startet mrgardener-zeven.de dann als Onlineshop sowie einem geteilten Marketingbudget für digitale Beilagen und Google Adwords. Obwohl der Kunde jetzt sofort kaufen kann, behalten wir den Button „Unverbindlich anfragen“ aus der ersten Fassung bei, denn wir wissen auch, dass Kunden zwar den einen Artikel haben wollen, aber meist auch Fragen dazu haben. Denn eine weitere Erkenntnis aus dem Vorjahr ist: Je mehr die Kunden fragen, desto eher werden sie kaufen und desto weniger senden Sie zurück. Oder einfacher: Je mehr Dialog im Vorwege stattfand, desto reibungsloser verlief jede Transaktion. Kurz um: In 2014 werden weit mehr Mr. Gardener-Artikel verkauft, als im stationären Handel und auch weit mehr als in den meisten anderen Niederlassung bundesweit.
Das bleibt weder der hagebau-Zentrale, noch den anderen hagebaumärkten und erst recht nicht dem Wettbewerb verborgen, die ab Mitte des Jahres auf den Zug aufspringen und teilweise extremen Werbebudgets aufbauen und damit einen Verdrängungswettbewerb starten. Der wird üblicherweise vor allem auf der Preisschiene und am Ende auf dem Deckungsbeitrag ausgetragen, und ist damit nicht das erklärte Ziel meines Kunden.
In das Jahr 2015 starten wir daher konservativ: Moderate Erhöhung des Mediabudgets, das nun rein digital fokussiert wird und auf den Erfolg des letzten Jahres vertrauen, getreu dem Motto „Nach viel kann nur mehr kommen“. Die Zahlen zeigen aber, dass wir mit den Budgets der Wettbewerber bei Weitem nicht mithalten können und auch die Artikelauswahl im direkten Vergleich viel geringer ist. Eine signifikante Erhöhung des Mediabudgets ist ausgeschlossen, aber das Hinzufügen neuer Produktlinien im Bereich Blockbohlenhäuser rettet das Jahr knapp ins Ziel. Für mich als Marketer und Verantwortlichen für die digitale Strategie von mrgardener-zeven.de also ein zunächst unverständliches und unbefriedigendes Ergebnis. Denn technisch arbeitet der Shop perfekt; die Universalwaffe Google Adwords liefert im Rahmen des Budgets gut Leistungsdaten und auch die organische Positionierung ist unter den neuen Seiten des Wettbewerbs nur teilweise eingeknickt. Ich ertappe mich dabei, ins Esoterische zu flüchten und nehme daher für kurze Zeit an, Marke, Markt und Shop hätten schlicht Ihre Magie verloren. Außerdem ist Wettbewerb vor allem dann richtig lustig, wenn er tief schläft, und das war zwei Jahre nach unserem Start eben nicht mehr der Fall.
In der Werbeplanung für 2016 lege ich also zunächst eine fundierte Analyse des vergangenen Jahres sowie Gegenmaßnahmen vor. So wird das Produktportfolio erweitert und vor allem SEO/Content Marketing für die Stabilisierung der organischen Suche eingeplant. Das Mediabudget wird nicht erhöht, sondern verteilt. Damit wird es möglich, den Werbemitteleinsatz in unterschiedlichen Lead-Kanälen zu prüfen, um es im laufenden Prozess auf die besten ROIs zu konzentrieren. Soweit also marketingtechnisches Basis-Handwerk. Der entscheidende Hebel für die Saison ´16 war aber, den Kunden wieder zuzuhören. Denn all die zahlenorientierte, hölzerne Umplanung mag richtig sein, lässt aber vielleicht die Kundenbedürfnisse außer Acht – und genau das war der Erfolgsfaktor der ersten Jahre.
Aber Kundenbedürfnisse zu erfassen ist aufwendig. Denn Canvas-Fingerprinting, Per-User- oder Cross-Device-Tracking sind hocheffiziente Technik-Leckerbissen, die bedient werden wollen. Der Vorgang selber ist datenschutztechnisch mindestens überprüfenswert und die Auswertung der Big-Data-Haufen am Ende ist eine Statistik, die man so und anders lesen kann.
Für den digitalen Consumer Insight, also die digitale Einsicht in Kundenbedürfnisse, kommen daher zwei alte Bekannte zum Einsatz. <
Zum einen der Live-Chat, den ich seit unzähligen Jahren auf meinen eigenen Websites sehr erfolgreich einsetze. Für den hagebaumarkt etabliere ich daher eine neue Dienstleistung und beantworte in seinem Namen und Auftrag die Anfragen seiner Kunden; ein Produkt, das ich „Digital Concierge“ nenne. Das funktioniert sehr gut, weil der Kunde selber erstens keine Ressourcen hat, selber solche Chats anzunehmen, und zweitens, weil ich in den allermeisten Fällen sowohl mit dem Kunden als auch seinen Produkten vertraut bin. Ziel ist, erste Fragen sofort zu beantworten und an die richtige Stelle im Innendienst weiterzuleiten. Über die Erkenntnis hinaus, dass Kunden, die mit uns reden, auch wahrscheinlicher kaufen werden, wissen wir nun, dass Sie viel bereitwilliger mit einem Live-Chat interagieren, als mit einem Kontaktformular. Und Dank Rückmeldung vom Innendienst sowie vom Live-Chat ist auch die Messung denkbar, welche Anfragen zu welchem Ergebnis geführt haben.>
Und zum anderen wurde eine Exit-Intent-Detection eingebaut. Diese erkennt, ob ein Benutzer die Seite verlassen will, und blendet ein kleines, nicht-obstruktives Popup ein. Weil das auf anderen Websites häufig überaggressiv und mit zweifelhaften bis nervtötenden Inhalten genutzt wird, überwache ich es bei diesem Kunden sehr engmaschig, denn das Ziel ist ein Dialog und keine Abschreckung. Für den Inhalt wähle ich die brutal einfache Frage: „Huch - nichts dabei?“ und gebe fünf mögliche Antworten sowie eine Freitext-Zeile vor. In dem dann folgenden Erfassungszeitraum von drei Wochen gehen über 500 Antworten ein (Quote: 3%), aus denen zweifelsfrei zwei kleine Veränderungen abgeleitet werden konnten. Schon in den ersten Wochen danach konnte der Umsatz ein Allzeit-Hoch erreichen und verbleibt seit dem auf dem hohen Niveau. Schon jetzt ist 2016 erfolgreicher, als jedes vorangegangene Jahr - und zwar ohne Erhöhung des Mediabudgets.
Fazit:
Der Onlineshop von mrgardener-zeven.de kam zu einer Zeit, in der es nichts Vergleichbares gab - und war deshalb erfolgreich. Der Erfolg beruhte aber auch danach auf der Strategie der Iteration: Die Kunden wurden aktiv gefragt und aus den Antworten neue Angebote abgeleitet, die probiert, verworfen und verstärkt wurden. Diese Form der Verkaufs- und Kundeneinsicht, also einer evolutionären Angebotsentwicklung, ist bestes Kaufmanns-Gebaren: Fragen, was der Markt möchte, anbieten und verkaufen. Verkauft es sich nicht, kommt es nächste Woche nicht wieder auf den Markt. So entsteht Digitaler Consumer Insight ganz ohne Raketentechnik und Big-Data.
Canonical: Auch zu lesen in meinen Gastartikeln im Blog von NKI Consult